Die Herkunft der Kolonisten

"Die Herkunft der deutschen Kolonisten läßt sich mit einem hohen Grad von Gewißheit aus Orts- und Personennamen erschließen, wo nicht etwa besondere Herkunftsbezeichnungen noch genauere Schlüsse zulassen. Man kann unterscheiden zwischen der vermutlich seit langem einsickernden Kolonisation von den Grenzen her, über den Wald hinweg, und von der von weiterherkommenden, die neben den Anrainerstämmen noch andere deutsche Stämme ins Land brachte. Nördlich des Gesenkes und an der Oderpforte, ebenso über das Riesengebirge, stießen zunächst Schlesier vor, die freilich ihrerseits bereits ein deutscher Neustamm, nach Schwarz "eine Mischung von Ostfranken und Thüringern, in geringem Maße Hessen und Rheinländer" waren. In das Olmützer Bistumsgebiet dagegen wanderten dank der so überaus regen Tätigkeit des ... Bischofs Bruno fränkische Siedler vom oberen Main und der oberen Saale ein, außerdem aber Niederösterreicher, deren Spuren sich bis an den Oberlauf der March verfolgen lassen. Südmähren wurde selbstverständlich von Niederösterreich, der Südzipfel Böhmens am Moldauknie und südlich Wittingau aus Österreich ob der Enns kolonisiert. Zwischen dem Paß Furth und dem Goldenen Steig rückten seit den Zeiten des Eremiten Gunther über den Wald bayerische und oberpfälzische Siedler vor. Auch das engere und weitere Egerland ist keineswegs nur von Ostfranken besiedelt worden, sondern hat, wie ja die eigenartige Mundart ... beweist, einen starken bayerischen und oberpfälzischen Einschlag. Da über das Erzgebirge Markmeißener Obersachsen bis an die Eger vordrangen, mischte sich dieser Stamm etwa zwischen Duppau und Brüx mit den Ostfranken des Egerlandes, und auf dem linken Elbeufer jenseits des Passes von Kulm und Nollendorf mit Lausitzer Deutschen. Nordböhmen hatte vorwiegend Lausitzer Siedler, deren rollendes R durch die Jahrhunderte ein unverkennbares mundartliches Kennzeichen geblieben ist; aber bis in die Gegend von Leipa reichen auch die Ausläufer der ostfränkischen bzw. egerländischen Siedlung, denn sobald einmal eine Landschaft kolonisiert war, beteiligte sie sich selbst wieder an der Erschließung anderer Gegenden, was die Stammes- und mundartlichen Verhältnisse der Sudetendeutschen frühzeitig komplizierte. Vollends schwierig war es bei den Bergstädten. Die Iglauer Sprachinsel zeigt bayerischen, aber auch sächsischen Einschlag. Die Bergknappen konnten eben nicht aus einer beliebigen Gegend geholt werden, sondern kamen in jedem Falle aus alten Bergbaugebieten, als welche man in Deutschland vor allem den Harz, in zweiter Linie den Nordwestabfall des Erzgebirges und schließlich Tirol (Schwaz) ansprechen kann." *29)

Vor allem im Erzgebirge und in der Umgebung von Iglau entstanden während der Kolonisation zahlreiche Bergwerke und Bergstädte. Bergbau im großen Stil hatte es vor der deutschen Besiedelung nicht gegeben. "Wie sehr der Bergbau und die Bergstädte den Deutschen zu eigen waren, zeigen die tschechischen Fremd- und Lehnworte, die bis ins 19. Jahrhundert durch slawische Ausdrücke überhaupt nicht ersetzt werden konnten. Da haben wir die erckauferi (Erzkäufer), die hutrajteri (Hüttenrechnungsführer), natürlich die knappové, die prenneri (Schmelzer oder Brenner), die fersucheri (Metallprüfer), das Praeghaus und die darin arbeitenden pregeri, die šmitna (Schmiede), den Verkmistr [Werksmeister] und sogar den luon (Lohn). Silber auswechseln hieß vexl, das Ausschütten der Kohle šturcovat [stürzen?] das Schätzen šacovat. Natürlich gab es auch den mincmistr [Münzmeister?] und der Schacht hieß šachta.

"Zu den großen Silbergruben kam als jüngste das besonders ergiebige St. Joachimsthal hinzu, Eigentum der Grafen Schlick. Hier wurde der Thaler, ursprünglich Joachimsthaler, zuerst geschlagen, der dann als Reichstaler, Mariatheresientaler, Rheinischer Taler und schließlich als Dollar seinen Siegeszug um die Welt angetreten hat." *29)

Einige noch heute deutsch klingende Städtenamen in der Tschechei verraten augenscheinlich, wie sehr der böhmisch-mährische Raum über Jahrhunderte von den Deutschen geprägt wurde, daß sie an vielen Stellen die ersten Siedler waren und bis zur Austreibung die Mehrheit der Bewohner ganzer Landstriche stellten. Für viele Orte gibt es keinen historisch begründeten slawischen Namen. Stellvertretend für viele andere seien folgende Beispiele genannt (dt. - tschech.): Friedland - Frydlant, Warnsdorf - Varnsdorf, Sternberg - Šternberk, Winterberg - Vimperk, Rumburg - Rumburk, Mährisch Schönberg - Šumperk, Tannwald - Tanwald, Friedland - Frydlant, Landskron - Lanškroun, Neudek - Nejdek, Ronsperg - Ronsperk, Wiesenberg - Vizmberk, Schildberg - Šilperk, Zuckmantel - Cukmantel, Freiwaldau - Frywaldov, Rosental - Rozmital, Brandeis/Elbe - Brandys/Labe, Peterswald - Petrvald, Reichwaldau - Rychvald, Kunstadt - Kunštat, Wamberg - Vamberk, Stramberg - Štramberk, Königsberg - Kynysperk usw.

In den 20er und 30er Jahren war die Anzahl dieser Orte noch größer. Jedoch wurden nach 1945 viele der amtlichen tschechischen Namen für deutsche Orte geändert, vermutlich um den deutschen Charakter der Namen zu tilgen. So wurde z.B. aus der erzgebirgischen Bergstadt Sonnenberg nach dem I. Weltkrieg Suniperk, nach 1945 dagegen Vú sluni, aus Falkenau/Eger zunächst Falknov, nach 1945 dagegen Sokolov.


*28) Franzel, Emil: a.a.O., S. 73 f.
*29) ebd., S. 72 f.
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