Die deutsche Ostkolonisation

Die deutsche Ostkolonisation setzte sich aus einer Fülle kleinräumiger Einzelinitiativen zusammen. Fürsten wie der deutsche Markgraf von Brandenburg, die Hochmeister des Deutschen Ordens oder der slawische König von Böhmen riefen Siedler ins Land. Bei der Erschließung der neuen Ländereien ging es um Arbeitskraft, Steuereinnahmen und die Verbesserung der Infrastruktur (zum Beispiel Wegebau). Denn die Stärkung der Wirtshaft steigerte die Macht des Landesherrn. Nationale Motivation spielte dagegen bei der Ostsiedlung keine Rolle. *13)

Die Siedlungsbewegung ist kein spezifisch deutsches Phänomen. In ganz Europa wird, von West nach Ost fortschreitend, Land kultiviert. Aus dem Pariser Becken wandern Kolonisten nach Süden, später auch nach Osten zum Rhein. Die deutsche Ostsiedlung folgt der Entwicklung und mit ihr die tschechische, die Land in Ungarn unter den Pflug nimmt. Siedler aus Polen wandern nach Rußland und vor allem in die Ukraine. *14)

In Böhmen setzte die deutsche Kolonisation mit ungeheurer Wucht um die Mitte des 13. Jahrhunderts, etwa gleichzeitig mit dem Regierungsantritt Ottokars II., ein. Doch war sie als soziale Bewegung damals bereits seit zwei Generationen im Gange. *15) Die gesamte Randzone Böhmens, die zuvor nicht oder nur wenig besiedelt war, wurde von deutschen Kolonisten urbar gemacht. Das alte Siedlungsgebiet des böhmisch-mährischen Beckens blieb dagegen - von wenigen deutschen Sprachinseln abgesehen - tschechisch *16) . Die deutsche Einwanderung erfolgte in drei parallel laufenden Strömen: als städtische, bäuerliche und bergmännische. Hinzu kommen Vorstöße von Hofadel und Klerus. *17) Als die erste deutsche Stadt der böhmischen Länder wird man Prag bezeichnen dürfen. Die Prager Kaufmannssiedlung erhielt von Sobieslav II. zwischen 1176 und 1178 jenes berühmte und so oft zitierte Privileg, das im Kern das ganze Problem der deutschen Zuwanderung und der deutschen Rechtsstellung enthält: "Noveritis, quod Theutonici liberi homines sunt" ("Wisset, daß die Deutschen freie Leute sind"). Der Herzog nahm die Deutschen in seinen besonderen Schutz. Wie in fast allen mittelalterlichen Privilegien wurde auf frühere Rechte Bezug genommen. Den Prager Deutschen wurden ausdrücklich jene Rechte bestätigt, die sie seit Wratislav II., also damals bereits ein Jahrhundert lang, innehatten. Wie weit die Selbstverwaltung ging zeigt die Tatsache, daß die deutsche Gemeinde ihren eigenen Richter und ihren eigenen Pfarrer erhielt. *18)

"Das Stadtrecht war durchwegs von deutschen Städten übernommen worden, die als Oberhöfe auch weiter zu Rate gezogen wurden. Entlang einer ungefähr von Joachimsthal und Prag nach Olmütz und Kremsier verlaufenden und dort scharf nach Norden abbiegenden Linie waren quer durch Böhmen und Mähren hindurch die Städte nord- und süddeutschen Rechts getrennt. Es spielte also die Herkunft der Kolonisten aus bedeutenden deutschen Vororten eine Rolle. Im Norden überwog selbstverständlich das Magdeburger Recht, wobei im Lande selbst Leitmeritz und Olmütz als Vororte galten. Doch gab es in Schlesien auch flämisches und fränkisches Stadtrecht. Eger und die westböhmischen Städte hatten Nürnberger Recht. Die Räte der Stadt Eger, das ja zunächst überhaupt nicht und später nur staatsrechtlich bedingt zu Böhmen gehörte, sahen die Nürnberger immer als ihre Väter an. Prag war bezeichnenderweise stadtrechtlich gespalten; auf der Kleinseite, wo auch genau wie in Leitmeritz eine Rolandssäule stand, galt Magdeburger Stadtrecht, in der Altstadt, also rechts der Moldau, Nürnberger. Das süddeutsche Stadtrecht trat auch unter dem Namen Egerer, Prager oder Brünner Recht auf. Eine besondere Form entwickelte Iglau. In Südmähren galt mindestens zeitweise Wiener Recht, das im übrigen mit dem Brünner fast gleichlautend war". *19)

"Nach der älteren, insbesondere tschechischen Geschichtsschreibung sprach man auch von Städten vor der Kolonisation. Doch das Stadtrecht und die besondere städtische Lebensform, Freiheit und Selbstverwaltung der Bürger, hat es in den Sudetenländern vor den deutschen Stadtgründungen nicht gegeben. Es bedurfte erst des deutschen Vorbildes, welches seinerseits auf westeuropäische und italienische Vorbilder zurückgriff, um eine städtische Entwicklung in Böhmen und Mähren einzuleiten. Der erste Antrieb ging, neben Prag, von Schlesien aus, wo die Kolonisation um eine oder zwei Generationen früher eingesetzt hatte. *20) "Ein so energischer, neuen Gedanken aufgeschlossener und ehrgeiziger Fürst wie König Ottokar II. griff begierig nach Möglichkeiten, die sich ihm mit der deutschen Kolonisation boten, in der er offensichtlich ein Mittel zur Zurückdrängung des [Klein-] Adels und zur Erhebung der finanziellen wie der politischen Machtstellung des Königtums erblickte. Aber auch Städte selbst, die ja daran interessiert waren, ein agrarisches Hinterland zu erhalten, riefen ihrerseits Kolonisten herbei und gründeten Dörfer. Eine Stadt im Walde, auch wenn sie an einer Handelsstraße lag, war ein Unding. Es entstanden daher fast überall Gruppen von Städten und Dörfern, weshalb sich das deutsche Volkstum so rasch ausbreitete. Nur wo schon zahlreiche tschechische Dörfer bestanden und ein Markt unter der Burg zur Stadt erhoben wurde, blieb die Umgebung slawisch, so daß es dann später nicht allzu schwer war, auch die Stadt zu slawisieren, denn jede Stadt vermehrte und vergrößerte sich hier wie im übrigen Europa nicht nur durch die Nachkommenschaft der Bürger, sondern durch Zuwanderung. Stadtluft machte frei, auch in den Sudetenländern zog sie viele Bauernsöhne an, und das städtische Handwerk benötigte Arbeitskräfte in steigender Zahl." *21)

Deutsche Ostsiedlung

Quelle: Prof. Dr. Stier, Hans-Erich (Hrsg.) u.a.: a.a.O, S. 42
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Neben Prag und Brünn waren Anfang des 13. Jahrhunderts Freudenthal (1215) und Troppau (ca. 10 Jahre später) die ersten Stadtgründungen. Nun setzte die Kolonisation mit Nachdruck in Nordböhmen und weiter östlich zur Mährischen Pforte hin ein, vor allem im bereits slawisch besiedelten Kuhländchen. Anschließend entstanden Troppau und in Südmähren Znaim, um 1240 gewannen dann in Brünn die Deutschen die Oberhand über wallonische Siedler und setzten die Stadterhebung durch. Bereits 1225 wurde Mährisch-Neustadt gegründet. Unter Ottokar II. wurden außerdem Hohenmauth, Kolin, Melnik, Pilsen, Brüx, Kaaden, Budweis und zahlreiche andere Orte zu Städten erhoben, was jeweils mit dem Einzug deutscher Bürger zusammenhing. *22)

Bischof Bruno von Olmütz, der Berater Ottokars II, seiner Herkunft nach ein Graf von Schaumburg-Holstein, hat die Kolonisation um die Jahrhundertmitte mit Eifer weiter betrieben und in seinem Olmützer Bistumsland zahlreiche Dörfer aus wilder Wurzel entstehen lassen. So ist er speziell für die Urbarmachung des Schönhengstgaues die wichtigste Leitfigur. Slawische Siedlungen in nennenswerter Zahl hat es also demnach speziell hier nicht gegeben. Die Dorfnamen geben einen deutlichen Hinweis auf den älteren slawischen oder jüngeren kolonisatorischen Ursprung. Namen auf -itz deuten (was Ausnahmen nicht ausschließt) auf slawische Dörfer hin, die erst nach der Kolonisation deutsch wurden, Namen auf -dorf, -berg, -wald, -grund, -bach, -hain, und -tal zeigen einwandfrei den deutschen Ursprung. Bei Wörtern auf -au oder -ow mag es strittig sein, ob es sich um eine wirkliche Au oder um die slawische Nachsilbe handelt, deren indogermanische Wurzel freilich die selbe Bedeutung hat. *23)

In anderen Fällen, beispielsweise bei Hohenstadt an der March, hilft die lateinische Bezeichnung der Kirche weiter. "Schon im frühen Mittelalter muß an der heutigen Stelle eine bedeutende germanische Siedlung bestanden haben, deren Name von den Römern "alta civitas" (die hohe Stadt) übersetzt wurde. Wäre der ursprüngliche Name - wie das die Tschechen behaupten - Zábé eh (Ort hinter dem Ufer) gewesen, so hätte der ins Lateinische übersetzte Name der Stadt ganz anders ausfallen müssen." *24) So kann Hohenstadt seinen starken tschechischen Bevölkerungsanteil erst nach der Kolonisation im Laufe der Jahrhunderte durch Zuwanderung erhalten haben. Aber erst durch Tschechisierungsmaßnahmen und schließlich "Eingemeindung tschechischer Dörfer verlor Hohenstadt seine deutsche Mehrheit." *25) Dennoch hat sich seit der Stadtgründung bis 1945 ein deutscher Kern erhalten.

"Um 1350 erlahmt die Abwanderung in den Osten: Die Pest hält in Europa ihren katastrophalen Einzug und rafft die Bevölkerung dahin. Dörfer sind ausgestorben. Man muß nicht mehr in einem fremdem Land Aufbauarbeit leisten." *26)


*13) vgl. Wagner, Wilhelm J.: Neuer großere Bildatlas der deutschen Geschichte, Gütersloh 1999, S. 106
*14) vgl. ebd
*15) vgl. Franzel, Emil: a.a.O., S. 64
*16) Wagner, Wilhelm J.: a.a.O., S. 107
*17) vgl. Franzel, Emil: a.a.O, S. 64
*18) vgl. ebd., S. 63 f.
*19) ebd., S. 65 f.
*20) vgl. ebd., S. 66
*21) ebd., S. 66 f.
*22) vgl. Franzel, Emil: a.a.O., S. 68 f.
*23) vgl. ebd., S. 69 f.
*24) Verlag Heimatkreis Hohenstadt-Müitz: Heimatkreid Hohenstadt/March (Heimatbuch für Stadt und Kreis Hohenstadt/March), S. 37 f.
*25) Schöhengster Heimatbund e.V.: Der Schönhengstgau - Bild einer deutschen Sprachinsel, Stuttgart 1962, S. 40
*26) Wagner, Wilhelm J.: a.a.O., S. 107

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