Die Deutschen in der ersten Tschechoslowakischen Republik

In dem neuen Staat war nur knapp die Hälfte der Staatsbevölkerung tschechisch. (Tschechen: 48,6%, Deutsche: 23,6%, Slowaken: 16,9%, Sonstige [Polen, Ukrainer u.a.]: 10,9%). *120) Nach Wilsons 14 Punkten wurde die Donaumonarchie aufgelöst, weil sie ein Vielvölkerstaat war und in ihre nationalen Bestandteile zerfallen sollte. Nun wurde mit dem Diktatfrieden ein neuer Vielvölkerstaat aus der Taufe gehoben, was selbst dann noch zutrifft, wenn man sich mit der fiktiven Staatsnation abfinden wollte, wogegen vor allem ein Großteil der Slowaken selbst leidenschaftlich protestierte. Nur war in Österreich keine Nation stark genug, um die anderen zu beherrschen und die Verfassung erkannte grundsätzlich die Gleichberechtigung der Völker an, "während sich in der Tschechoslowakei die Tschechen anmaßten, den Staat allein zu beherrschen. Sie unterschieden in ihrer politischen Ausdrucksweise von Anfang an zwischen der "staatserhaltenden" Nation und den Minderheiten. Und ein auf so viele Lügen aufgebauter Staat führte in seinem Wappen den Spruch "Die Wahrheit siegt"! Auch das war eine Herausforderung der Sudetendeutschen, die sich auf Schritt und Tritt nicht nur tschechischer Willkür, sondern auch einer verlogenen Politik gegenüber sahen." *121)

"Die Vorenthaltung des Rechtes nationaler Selbstbestimmung hatte an anderen Orten zur Zuerkennung autonomer nationaler Rechte (z.B. Memel) geführt. Auch die tschechoslowakischen Denkschriften haben ganz allgemein von einem solchen Ersatz für die Vorenthaltung dieses Rechtes gesprochen. Aber solche Vorschläge im Falle der Tschechoslowakei, die über den normalen Minderheitenstatus hinausgingen, fanden sich doch nur anläßlich der Erörterung des Anschlusses der Karpato-Ukraine. Hierfür wurde klar ausgesprochen, daß es den demokratischen Prinzipien am besten entspräche, angesichts der nationalen Verschiedenheit daraus eine autonome Provinz zu machen und sie als solche anzuschließen. Vorausgesetzt war, daß Karpato-Rußland sich nur mit seiner freien Zustimmung dem neuen Staat anschließen sollte. Für die Sudetendeutschen hat man sich zu keinem analogen Entschluß bereitgefunden." *122)

"Der tschechoslowakische Staat und seine Verfassung setzten an die Stelle des Nationalitätenstaates den Nationalstaat. "Wir, das tschecho-slowakische Volk, haben in der Absicht, die vollkommene Einheit des Volkes zu festigen ... am 29.2.1920 die Verfassung für die tschecho-slowakische Rebublik angenommen" ... heißt es im Verfassungsvorspruch. Aber das hier apostrophierte "tschecho-slowakische" Volk war ... nicht die Gesamtbevölkerung, sondern nur ein Teil daraus" *123) . Die gegen ihren Willen zu Staatsbürgern des neuen Staates gemachten Sudetendeutschen waren von der Abfassung und Verabschiedung des Verfassungsgesetzes und etwa 300 weiteren grundlegenden Gesetzen ausgeschlossen. Eine demokratische Grundlage für diese undemokratische Verfassung wurde auch nachträglich nicht gesucht. Die Tschechoslowakische Republik ist das Ergebnis eines einseitigen tschechischen Willensaktes. Sie hat die deutschen Gebiete widerrechtlich mit Waffengewalt besetzt. Die deutschen Sudetenländer sind um ihren Willen niemals befragt worden. Das Ergebnis der Friedensverträge ist daher die Sanktionierung eines Gewalt-, niemals eines Rechtszustandes. *124) "Obwohl die Gesetzgebung der Tschechoslowakei keine nationale oder ethnische Diskriminierung kannte, traten in der Praxis, u.a. im Bereich der Wirtschaft oder des Schulwesens, bestimmte Entwicklungen ein, die auf eine Diskriminierung der deutschen Bevölkerung hinausliefen." *125)

Zu einem existentiellen Problem in der Tschechoslowakei der Zwischenkriegszeit wurde der Staatszentralismus, der im Widerspruch zur bunten nationalen Zusammensetzung des Staates stand. *126) Der grundlegende Unterschied der rechtlichen und politischen Struktur der böhmischen Länder vor und nach 1918 lag im nationalstaatlichen Charakter der tschechoslowakischen Republik. Art. 19 des Staatsgrundgesetzes vom 21. Dezember 1867 hatte die österreichische Reichshälfte der habsburgischen Monarchie zu einem "Nationalitätenstaat" gemacht. Die dort festgelegte "Gleichberechtigung der Volksstämme des Staates" richtete eine rechtliche Barriere auf und schuf zugleich eine Grundlage, deren Bedeutung in zahlreichen Entscheidungen der höchsten Gerichte anerkannt war und den politischen Charakter der österreichischen Reichshälfte prägte. Die neue politische Ordnung in den böhmischen Ländern nach 1918 dagegen bezeichnete sich selbst als die eines "Nationalstaates". Das war gleichbedeutend mit der Auffassung vom Dasein politisch bevorrechteter und minderberechtigter Völker im Staat. Nach allgemeinem Sprachgebrauch war die tschechoslowakische Nation die "Staatsnation", alle übrigen die "Minderheiten". Das tschechoslowakische Volk erklärte sich im Verfassungsvorspruch zur Quelle der staatlichen Ordnung. Damit war aber nicht das Volk im saatsrechtlichen Sinn als Gesamtbevölkerung des Staates verstanden, sonder im nationalpolitischen, d.h. die Tschechen und Slowaken innerhalb des Staates (In dem Augenblick, in dem sich die Mehrheit der Slowaken gegen die nationalpolitische Idendität mit den Tschechen wandte, war auch die slowakische Frage zu einem Nationalitätenproblem geworden). *127)

Die Verdrängung der Deutschen aus dem öffentlichen Dienst und die Schläge gegen das deutsche Schul- und Bildungswesen wurde von den Deutschen auf parlamentarischer Ebene, in der Presse und durch wiederholte Protestkundgebungen bekämpft - freilich ohne greifbare Wirkung.

"Die Währungs- Wirtschafts- und Handelspolitik der Tschechoslowakei begünstigte planmäßig die tschechischen Gebiete und behandelte die sudetendeutschen, wie auch die slowakischen Bezirke als Kolonialgebiet. Aus ihnen wurde herausgeholt, was sich an Steuern nur aufbringen ließ, investiert wurde aber nur dort, wo sich tschechische Unternehmen, selbstverständlich mit tschechischen Angestellten und Arbeitern, mitten im deutschen Siedlungsgebiet niederließen." *128) Diese Politik gipfelte in den dreißiger Jahren "in dem Erlaß des tschechischen Verteidigungsministers Machnik, daß bei Rüstungsaufträgen nur Firmen mit überwiegend tschechischer Belegschaft bedacht werden dürften. Das geschah mitten in der großen Wirtschaftskrise, als in einzelnen sudetendeutschen Orten zwei Drittel der Bevölkerung von der Arbeitslosigkeit betroffen und große Gemeinden buchstäblich ruiniert waren, und im Zeichen einer fieberhaften Aufrüstung, als praktisch fast jeder Staatsauftrag unter den Begriff des Rüstungsauftrages fiel!" *129)

Das oben abgebildete Schaubild veranschaulicht die Verhältnisse in der techoslowakischen Republik im Jahre 1930. Zu bemerken ist, daß die Deutschen im Staatsdienst meist auf niedrigere Ränge verwiesen wurden. So waren zum Beispiel bei der Bahn die leitenden Stellen gerade mal zu 3% mit Deutschen besetzt!


*120) Daten: Hilgemann, Werner: a.a.O., S. 46 und Pfohl, Ernst: Ortslexikon Sudetenland, Nürnberg 1987, S. 687 ff.
*121) Franzel, Emil: a.a.O.: S, 338
*122) Raschhofer, Hermann; Kimminich, Otto: a.a.O., S. 136
*123) ebd., S. 15
*124) vgl. Böse, Oskar; Eibicht, Rolf-Josef: a.a.O., S. 52
*125) Kovac, Dusan: Tschechen, Deutsche und Slowaken, in: Hoensch, J/ouml;rg.; Kovac, Dusan (Hrsg.): Das Scheitern der Verständigung - Tschechen, Deutsche und Slowaken in der Ersten Republik 1918 - 1938, Düsseldorf 1994, S. 166
*126) vgl. ebd., S. 168
*127) vgl. Raschhofer, Hermann; Kimminich, Otto., S. 141
*128) Franzel, Emil: a.a.O., S. 343
*129) vgl. ebd., S. 342 f.
*130) vgl. Kinder, H.; Hilgemann, W.: a.a.O., S. 156
*131) vgl. Böse, Oskar; Eibicht, Rolf-Josef: a.a.O., S. 50

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