Kritische Stimmen verhallen ungehört

Im Jahr 1920 kam es in Österreich zu ersten Anschlußabstimmungen in Tirol (98,8% für Deutschland) und Salzburg (99,3%). Danach wurden weitere Abstimmungen auf Betreiben der Siegermächte verhindert. Frankreich drohte mit der Einstellung der Hilfsmaßnahmen zur Bekämpfung der Lebensmittelnot *130) und preßte somit den Österreichern den Verzicht auf das Selbstbestimmungsrecht ab. Für die Sudetenländer ist dieser Vorgang insofern bedeutend, da sie sich ja bereits 1918 als Provinzen Deutschösterreichs konstituierten und zunächst mit Abgeordneten im Wiener Parlament vertreten waren, bis die Tschechen die Teilnahme an den Wahlen 1919 verboten. Zudem nahm die im Januar gewählte Deutsche Nationalversammlung einstimmig den Antrag über den Anschluß Deutschösterreichs an (Artikel 61). Die neue Verfassung des Deutschen Reiches sah den Anschluß Deutschösterreichs vor! *131) Wäre den Deutschen das Selbstbestimmungsrecht gewährt worden, so wären die Sudetengebiete Bestandteil Deutschösterreichs geblieben, und mit diesem zusammen 1919 zu einem Teil der Deutschen Republik geworden!

"Die Denkschrift der Deutschen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (DSAP) für den Internationalen Sozialisten-Kongreß in Hamburg (1923) bezeichnete die Tschechoslowakische Republik als einen "Staat der Gewaltherrschaft" und führte an: Zur Verwaltung des Staates wurden fast nur tschechische Beamte berufen. Bis zum Sommer 1922 wurden 193 deutsche Schulen und 1.783 deutsche Schulklassen aufgelassen. (Bis 1927 waren es 500 Schulen und 3.500 Klassen, 30. v.H. der Klassen von 1918.) Deutsche Schulen mit weniger als 40 Schülern werden gesperrt, tschechische konnten auch für weniger Kinder errichtet werden. Für tschechische Schulen wurden 135 Mill. Kronen = 98 v.H. aufgewendet, für die deutschen Schulen 3 Mill. Kronen = 2 v.H. Das "Gesetz zum Schutz der Republik" von 1923 machte jedes oppositionelle Wort unmöglich ... Die nationalen Gegensätze spitzten sich zu. Mit bewaffneter Hand unterdrückte Unruhen mehrten sich. Der nationale Streit hat in fünf Jahren mehr Todesopfer gefordert als in den letzten 25 Jahren des alten Österreichs." *132)

"Der V. Kongreß der Komintern (Führungseinrichtung der Kommunistischen Parteien aller Staaten 1919 - 1934) bekannte sich im Juni 1923 nachdrücklich zum Selbstbestimmungsrecht der Sudetendeutschen"

  1. Feststellung des Generalsektretärs Manuilski: "Der tschechoslowakische Staat hat deutsche Industriegebiete mit 3,7 Millionen deutscher Menschen annektiert."
  2. Kongreßbeschluß: "... daß es eine tschechoslowakische Nation nicht gibt (in der Tschechoslowakei jedoch zahlreiche Minderheiten leben, und demzufolge die Kommunistische Partei der Tschechoslowakei die Aufgabe habe), hinsichtlich dieser Minderheiten das Selbstbestimmungsrecht der Völker zu proklamieren und in die Tat umzusetzen, einschließlich des Rechtes, sich voneinander zu trennen."

"Der deutsche sozialdemokratische Abgeordnete R. Hillebrand warf am 28. Dezember 1925 den Tschechen vor: Der Parlamentarismus in ihrem Lande sei auf den Hund gekommen, das Wahlrecht einer schamlosen Fälschung unterzogen worden, die infolge einer unerhörten Wahlkreisgeometrie die Entrechtung eines großen Teils der Wählerschaft bedeutete; z.B: Im tschechischen Prag wählten 19.000 Wähler einen Abgeordneten, in den überwiegend deutschen Wahlkreisen Karlsbad mit 24.500 Wählern und Laun-Teplitz mit 26.000 Wählern ebenfalls nur einen Abgeordneten." *133)

Der VI. Parteitag der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei (KPTsch) forderte am 10. März 1931 erneut das Selbstbestimmungsrecht der Sudetendeutschen bis zur Loslösung vom tschechischen Staat:

"2. Hauptlosungen ...

23. Für die gegenwärtige Phase des Kampfes um die Befreiung der unterdrückten Nationen aus dem nationalen und sozialen Joch in der Tschechoslowakei stellt die Kommunistische Partei der Tschechoslowakei folgende Hauptthesen auf:

Der tschechische Abgeordnete Václav Kopeckú , Mitglied der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei, forderte am 27. März 1931 vor dem Abgeordnetenhaus das Recht aller Deutschen, auch der Sudetendeutschen, in einem Staat zu leben. Er sagte unter anderem: "... Wir tschechischen Kommunisten ... erklären ... daß wir ... das Selbstbestimmungsrecht bis zur Abtrennung der vom tschechischen Imperialismus unterdrückten Teile des deutschen Volkes bis zur letzten Konsequenz wahren und durchsetzen werden. Wir erklären weiter, daß wir in gleicher Entschlossenheit das Recht schützen und durchsetzen werden, alle Teile des deutschen Volkes in einem Staat zu vereinigen ...". *135)


*130) vgl. Kinder, H.; Hilgemann, W.: a.a.O., S. 156
*131) vgl. Böse, Oskar, Eibicht, Rolf-Josef: a.a.O., S. 50
*132) ebd., S. 53
*133) ebd., S. 56
*134) ebd., S. 55
*135) ebd., S. 55 f.

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