Böhmen und Mähren vom Altertum bis zur deutschen Wiederbesiedelung

Im Jahr 1902 wurde erstmals der Begriff "Sudetendeutsche" verwendet, der nach 1918 zur Sammelbezeichnung *1) für die deutsche Bevölkerung Böhmens, Mährens und (Österreichisch- bzw. Sudeten-) Schlesiens wurde. Diese drei Länder werden auch als "die Länder der Böhmischen Krone" bezeichnet. Dies war schon so, als in Böhmen die Luxemburger herrschten, und änderte sich auch nicht, als diese Königswürde an Habsburg überging.

Böhmen hatte seit jeher eine außerordentliche militärische Bedeutung, denn hier kreuzten sich schon im Mittelalter die alten Handelsstraßen von Ost nach West und von Nord nach Süd. Dies machte die Beherrscher jenes Kreuzweges zu begehrten Bundesgenossen oder zum Ziel von Angriffen und zu bedeutenden Akteuren in der Geschichte. In den ältesten überlieferten Berichten begegnet uns Böhmen als "Herzynisches Gebirge" oder "Herzynischer Wald", also das Land im Herzen Europas. *2) Strategisch interessant erschien Böhmen wegen seiner Kessellage, umgeben von schützenden - Wällen gleichenden - Mittelgebirgen. Im Südwesten trennt der Böhmerwald mit dem gleichlaufenden Bayerischen Wald Böhmen von den Landschaften am Oberlauf der Donau. Im Nordwesten schließt sich das Erzgebirge mit dem Elbsandsteingebirge an. Weiter im Osten folgen die Kämme des Lausitzer- und Isergebirges. Das darauf folgende Riesengebirge weist mit der Schneekoppe (1603 m) die höchste Erhebung auf. Kulissenartig schiebt sich dann das Gesenke, die eigentlichen Sudeten (= Wildschwein- oder Eschengebirge) vor die Ketten des Habelschwerdter Kammes und des Adlergebirges. Gegen Mähren, das Einzugsgebiet der March, ist Böhmen durch die sanften Höhenzüge und waldigen Kuppen eines in Terrassen abfallenden Berglandes - den Böhmisch-Mährischen Höhen - abgegrenzt *3) . Doch in Wirklichkeit haben die lange Zeit undurchdringlichen und auch später noch schwer zu durchdringenden Wäldergürtel weder feindliche Heere gehindert in den Kessel einzudringen, noch hielten sie die Kolonisten ab, innerhalb des Kessels zu siedeln. Die großen militärischen Entscheidungen über das Schicksal Böhmens sind nicht vor seinen Toren, sondern innerhalb der Zitadelle gefallen. Es ist öfter unter den Mauern von Prag als an der Schwelle der Landestore um Böhmen gekämpft worden. Und gerade die Unwirtlichkeit der gebirgigen und dicht bewaldeten Randlandschaften schuf den Zwang, Kolonisten heranzuziehen. *4)

Im Streit der Völker um die Länder der böhmischen Krone hat die Frage nach dem Erstgeburtsrecht frühzeitig eine Rolle gespielt. In den Jahrhunderten vor Christi Geburt saßen nach dem Zeugnis literarischer Quellen wie der Bodenfunde keltische Bojer. Sie haben dem Land den Namen gegeben, den es in verschiedenen sprachlichen Abwandlungen behalten hat: Boiohaemum, Bohemia, Böheim, Böhmen. Vor ihnen sollen die Illyrer seßhaft gewesen sein. Als die Bojer um 60 v. Chr. Böhmen räumten, folgten ihnen von Nordwesten die Germanen, deren Einwanderung bereits 300 v. Chr. begonnen zu haben scheint. Die keltischen Bojer sammelten sich im Süden des Landes und verließen es zur Donau hin und hinterließen ihren Namen abermals als Stammesnamen, diesmal als Bajwaren. Die Germanen siedelten über ein halbes Jahrhundert in Böhmen und übernahmen den Stammesnamen der Kelten. Als die Germanen das Land in der selben Richtung verließen und in den überwiegend verwüsteten römischen Provinzen Noricum und Rhaetien auftauchten, waren sie nicht mehr Markomannen (in Böhmen) und Quaden (in Mähren), sondern die Männer aus Boierheim, die Bajwaren oder Bajuwaren (=Baiern). *5)

Dennoch müssen zahlreiche Markomannen bei dieser Wanderung in der alten Heimat zurückgeblieben sein. "Die Untersuchung der Ortsnamen, die Erich Gierach und sein bedeutendster Schüler Ernst Schwarz durchgeführt haben und die durch zahlreiche Arbeiten von Schülern beider Gelehrten ergänzt und fortgeführt wurde, hat unwiderlegbar ergeben, daß die keltischen und zum Teil sogar noch vorkeltischen Ortsnamen in Böhmen und Mähren durch Germanen den Slawen überliefert wurden, ferner, daß germanische Namen ins Slawische übergegangen sind, aber zum Teil in einer Form, die zweifelsfrei bezeugt, daß Germanen bis ins neunte Jahrhundert hinein in den Sudetenländern saßen und ihre Sprache sprachen, ihr Namensgut gebrauchten. Keltischen Ursprunges sind unter anderem Eger (Agara), Iser (gleichen Stammes wie Isar, Oise), Donau und auch das Wort Sudeten." *6) Die Elbe als wichtigster Fluß Böhmens trägt einen germanischen Namen, welcher "Der helle Fluß" bedeutet. *7) Bemerkenswert ist, daß die Weiterentwicklung von Albis zu Elbe der deutschen Sprachentwicklung entspricht. Außerdem bezeugen Namen wie Moldau (aus Wild-ahwa = Wildache), Angel/Uhlava, Igel/ Jihlava, Waag (Woge) und Askiburgion (Eschengebirge) ein längeres Nebeneinander von Germanen und Slawen. *8) "Auch die March, der Fluß, der Mähren den Namen gab, ist über die Germanen zu uns gekommen. Im 9. Jahrhundert taucht die Schreibung "Mahara" auf, wobei ahaha Wasser heißt und sich in zahlreichen Fluß und Ortsnamen in Mähren erhalten hat". *9)

Abbildung 1: Hunneneinbruch und Ostgermanenzüge (375 - 476)
Quelle: Prof. Dr. Stier, Hans-Erich (Hrsg.) u.a.: Völker und Kulturen, Darmstadt 1956, S. 26
Auch als große Karte ladbar (1000 x 687 Pixel, 256 Farben).

"Erich Gierach hat das Ergebnis der Namensforschung in drei Sätzen zusammengefaßt, denen sich auch Konrad Bittner anschließt:

  1. Die Slawen sind in Mähren und Böhmen eingewandert, bevor die zweite (hochdeutsche) Lautverschiebung vollzogen war... Diese Lautverschiebung geht im 5. - 7. Jahrhundert vor sich; so stimmt die Ansetzung der slawischen Einwanderung in der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts zu den sprachlichen Tatsachen.
  2. Die Slawen fanden das Land keineswegs menschenleer vor, sondern trafen eine deutsche Bevölkerung an (mag sie auch schwach gewesen sein). Sonst hätten sie die altdeutschen Namen nicht übernehmen können.
  3. Stellenweise muß sich diese deutsche Bevölkerung bis zur Neubesiedelung im 12. bis 13. Jh. erhalten haben, zumindest im Oberlauf der Eger, an den Quellflüssen der Beraun, am Georgsberg, an der Schwarzawa und anderswo. Die Neubesiedelung darf darum aber nicht geleugnet werden, wie gerade wieder die Untersuchung der Namen des 13. und 14. Jh. lehrt." *10)

Emil Franzel vermerkt weiter, daß unter den Vorfahren der späteren Sudetendeutschen altgermanische Volksreste sind, die sich ihrerseits aus Markomannen, Quaden, Langobarden, Wandalen und vielleicht noch älteren germanischen Stämmen mit keltischem Einschlag zusammensetzen. Diese Reste sind gewiß kein entscheidender Bestandteil, aber weder sind sie wegzuleugnen noch unwesentlich. "Eine durchgehende germanische Überlieferung und ein von uralten Zeiten her fließender Strom ergeben eine germanisch-deutsche Kontinuität, die mindestens im frühen Mittelalter auch den Slawen bewußt gewesen sein muß". *11)

Bereits im Jahr 845 beginnt die enge Verbindung zwischen dem böhmischen Adel und Deutschland, als - nach dem Bericht der Fuldaer Annalen - 14 böhmische Stammeshäuptlinge in Regensburg die Taufe empfangen. Dadurch haben sie Anschluß an den damaligen westlichen Religions- und Zivilisationsbereich gefunden. Seit dieser Zeit reißt die lebendige Verbindung zwischen Böhmen und Mähren sowie dem westlichen deutschen Nachbarn nicht mehr ab. *12)


*1) vgl. Habel, Fritz Peter; Kistler, Helmut: Das Sudetendeutsche Problem von 1919/20 bis 1933, in: Informationen zur politischen Bildung, Band 132: Deutsche und Tschechen, Hrsg.: Bundeszentrale für politische Bildung; 2., aktualisierte Auflage; Bonn 1993; S. 6
*2) vgl. Franzel, Emil: Sudetendeutsche Geschichte, 8. Auflage, Mannheim 1987, S. 9
*3) vgl. ebd., S. 10
*4) vgl. ebd., S. 11
*5) vgl. ebd., S. 16 f.
*6) Vgl. ebd., S. 23
*7) vgl. Veiter, Theodor: Kein Schlußstrich - Die Sudetendeutschen und die Tschechen in Geschichte und Gegenwart, Wien/München 1994, S. 13
*8) vgl. Franzel, Emil: a.a.O., S. 24
*9) Veiter, Theodor: a.a.O., S. 13
*10) Franzel, Emil: a.a.O., S. 24
*11) ebd., S: 25
*12) vgl. Arbeitsgemeinschaft zur Wahrung sudetendeutscher Interessen (Hrsg.), Dokumente zur Sudetenfrage, München 1992, S. VIII

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